31. Ausgabe des Classicissima Mailand-SanRemo
27.05.2001
Es ist Samstag, 8:00 Uhr, die Räder sind schon verladen, das Gepäck ist schon im Bus des Reiseveranstalters Velo Travel (Karlsruhe). Hier auf der Südseite des Hauptbahnhofes von Karlsruhe ist schönes Wetter, es sind auch eine Menge ältere Leute dabei und auch ein paar Damen, insgesamt etwa 40 Leute. Ein neuer Kollege berichtet soeben, dass er sich zu seinem 60. Geburtstag gewünscht habe mal Mailand SanRemo zu fahren. Es heißt, dass wir dann doch ziemlich pünktlich (ca. 8:30 Uhr) hier in Karlsruhe starten können. Der Start ist nun doch 8:45 Uhr erfolgt. Es geht jetzt auf die Autobahn A5 nach Freiburg. Dort wird noch jemand eingeladen und dann sollen auch noch an der schweizerischen Grenze zwei oder drei Personen warten, die auch noch einsteigen wollen. Hier ist wieder strahlender Sonnenschein, aus Mailand wird jedoch nicht so tolles Wetter gemeldet. Na ja, vielleicht wird es ja wie in Trondheim, Regenjacke immer dabei!
Um ca. 12:45 Uhr machen wir Mittagspause in einem Autobahnrestaurant Mövenpick kurz vor Zürich. Immer noch schöner Sonnenschein! In dem Restaurant waren aber ganz schön gepfefferte Preis.
Um 13:00 Uhr geht es weiter durch Zürich und dann wieder auf die Autobahn Richtung Luzern. Der Fahrer hat sich entschlossen den Bernhadinotunnel zu nehmen, anstatt den Gotthardtunnel. Da es dort derzeit ca. 3 Stunden Wartezeit gibt und wir dann ziemlich spät nach Mailand kämen.
Um 15:30 Uhr wird vor dem Bernhardino noch mal eine kleine Pause eingelegt. Es ist noch reichlich Schnee hier oben, zwar noch Sonneschein, aber es scheint sich zuzuziehen. Gut, wir werden sehen! Eine Menge Gespräche drehen sich um Trondheim-Oslo, Bimbach, Paris-Brest-Paris, sowie die diversen Klassiker in Belgien, die allesamt schon von dem einen oder anderem gefahren wurden. Vermutlich sind das alles ganz starke Leute und ich werde mich bescheiden ganz hinten aufhalten. Mein Sitznachbar ist auch mein Zimmernachbar, Peter aus Wegberg bei Mönchen Gladbach. Er ist um die 60 Jahre alt, kurbelt seit 45 Jahren und leitet eine Nachwuchsgruppe im örtlichen Radsportclub.
Irgendwann gegen 18:00 Uhr sind wir in Mailand. Wir fahren erst noch mal in die Innenstadt um den Dom von außen zu besichtigen. Wir gehen hinein! Mit meinen Shorts darf ich allerdings schön draußen bleiben.
Dann gegen 19:00 Uhr geht es weiter. Immer noch sehr, sehr warm hier und abendliches Verkehrschaos.
Endlich sind wir dann gegen 20:00 Uhr in dem Hotel außerhalb. Räder und Gelumpe werden ausgeladen. Dann müssen wir uns spurten, damit wir noch pünktlich zum Abendessen kommen und anschließend die Räder aufbauen können. Peter und ich haben ein schönes Doppelzimmer. Kurz waschen und dann ab ins Restaurant. Anschließend zurück und die vorderen Laufräder in die Rennmaschine, die Getränkehalter in die richtige Position und Sattel eingestellt. Wir nehmen unsere Sachen für morgen schon einmal raus und dann geht es zeitig ins Bett. An Schlaf ist allerdings kaum zu denken. Es ist ziemlich warm und ich versuche es für eine halbe Stunde draußen auf dem Balkon, aber durch die vorbeiknatternden Mopeds lässt sich auch kein Schlaf finden. Nun gut, irgendwann gegen Morgen bin ich dann doch wohl weg.
Um 4:30 Uhr klingelt der Wecker, Frühstück, alles fertig machen, drei Getränkeflaschen und bei dem herrlichen Wetter wird natürlich in kurz gefahren. Das überreichte Trikot vom Veranstalter Mailand-SanRemo sieht exzellent aus. Es passt auch nachdem ich XL gegen L eingetauscht habe. Wir verladen unser Gelumpe und hören noch wie Andrew seine zukünftigen Positionen durchgibt, wo er mit dem grünen Bulli stehen will. Ich höre kaum noch hin und dann fahren wir auch ca. 5 km zum Start hin. Riesen Gedränge und es kommen immer noch Leute dazu. Dann, wenige Minuten nach 7:00 Uhr, erfolgt der Massenstart. Wir haben alle unsere Zeitmessstreifen am rechten Oberarm. Es starteten knapp 1.000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Ganz mühsam geht es durch die engen Ausfahrten dann auf die Straße. Auf den ersten 10 km gibt es häufig laute Rufe und man hört das Abbremsen. Es hat wieder ein Hindernis gegeben bis sich der gesamte Lindwurm dann endlich eingereiht hat. Dann aber läuft es irgendwann. Wir haben eine Gruppe und es geht mit 32 km/h los. An den Verkehrsknotenpunkten stehen Polizisten die uns durchleiten. Der Verkehr ist noch recht träge um diese Zeit und es ist überaus angenehm zu fahren. Das vorherige Eincremen mit Sonnenschutzcreme war sicherlich wichtig!
Plötzlich fährt neben mir eine Dame mit langem, schwarzen Haar. Ich frage sie, wo sie ihren Helm hat. Hat keinen, antwortet sie auf bayrisch. Sie heißt Elisabeth und einige meiner neuen Kumpels bestens bekannt. Sie fährt Mailand-SanRemo zum 14. Mal. Lüttich-Bastogne-Lüttich ist ihr auch sehr wohl bekannt. Sie fährt ohne Clips-Pedale oder Haken, zwei Gepäcktaschen dabei, sowie am Lenker und am Gepäckträger je einen Glücksbringer (Bärchen). Ich sehe sie später allerdings nicht mehr.
Irgendwann ruft Peter, dass er mal müsse. Ich frage, ob ich warten soll, er winkt ab. Ich soll weitermachen und langsam erhöht sich nun auch die Geschwindigkeit. Wir sind jetzt etwa acht Leute und fahren zwischen 38 und 40 km/h, wechseln uns schön ab, wobei einer dahinten schon etwas schnauft. Dann taucht eine größere Brücke auf. Wir überqueren den Fluss Po, der im Augenblick wenig Wasser führt und recht schmuddelig aussieht.
Nach gut 3 Stunden haben wir gut 100 km in den Beinen und sind eigentlich recht froh. Allerdings wird uns die vor uns liegende Bergetappe schwer zu schaffen machen. Irgendwann ist unsere Gruppe dann gesprengt, weil der eine nach dem anderen abbricht. Dann geht es, nachdem bereits einer der Buckel erklommen wurde, nach oben. Zunächst auf Höhe 750 etwa, es ist jetzt schon nach 10:30 Uhr und die Sonne brennt schon gnadenlos runter. Meine Getränkevorräte werden doch zunehmend weniger und die Vorräte haben auch schon gelitten. Nun fangen auch die ersten Wadenkrämpfe an. Vielleicht war das Tempo am Anfang doch ein wenig zu hoch. Mittlerweile fahre ich alleine, um mit meinen Wadenkrämpfen alleine fertig zu werden. Quäl dich du Sau, schießt es mir dann gelegentlich durch den Kopf, wenn ich versuche durchzutreten. Wie ich später erfahre, gibt es an einer bestimmten Stelle eine Steigung von 14 Prozent. Ich wage nicht aus dem Sattel zu kommen, aus Angst die Muskeln komplett zu verspannen. Geschwindigkeit etwa 5 – 6 km/h und ich bewundere die Leute, die das dritte Kettenblatt vorne drauf haben. Im weiteren Verlauf treffe ich einen Italiener und frage ihn, mit meinen wenigen Brocken, wann denn die nächste Kontrolle käme und wie weit es noch sei. Das weiß er zwar auch nicht, aber er vertröstet mich, im nächsten Ort, etwa 2 km, gibt es eine Kirche mit einer Wasserstelle davor. Ob ich das richtig verstanden habe weiß ich nicht. Jedenfalls sehe ich plötzlich im nächsten Ort zwei Radfahrer, die dort an einer Wasserstelle ihre Trinkflaschen auffüllen. Welch ein Glück! Schönes kühles, klares Wasser! Drei Flaschen werden wieder aufgefüllt. Dann ist auch irgendwann die erste Kontroll- und Verpflegungsstelle in Sicht, nochmals auffüllen mit Tee, reichlich Essen, Bekannte sehe ich nicht. So geht es dann kurz nach dem Händewaschen weiter. Eine ganz kurze Abfahrt und dann noch mal eine Spitze auf knapp 800 m, es wird alles abverlangt.
Mailand, hier ist etwa die Hälfte der Tour geschafft. 145 km/h, wie soll ich den Rest noch durchstehen? Eine herrliche Abfahrt hinunter lässt allerdings den Puls wieder nach unten gleiten und die durchgeschwitzten Sachen wieder ein wenig auskühlen. Dann gibt es allerdings noch einmal einen kleinen Anstieg ehe dann die endgültige Abfahrt Richtung Savona erfolgt. Dort erreichen wir die Mittelmeeruferstraße. Wie ich später erfahre, haben wir heute 1.800 Höhenmeter absolviert. Temperatur auf der Straße 36 °C, am Fahrradcomputer gemessen.
In Savona parken die Autos rechts und links der Straße. Die Leute hasten hin und her, um an das Wasser zu kommen. Nun geht es die Küste entlang weiter Richtung SanRemo. Die kleinen Kuppeln dazwischen machen eigentlich nichts. Aber dann tut sich irgendwann doch wieder ein etwa 100 m hoher Hügel auf, den es gilt zu bezwingen. Kurze Zeit später dann noch ein weiterer. Der ist schon 150 m hoch und auch da geht es dann wieder runter. Aber da war doch noch was?! Die berühmtberüchtigte Cipressa! Geschätzt etwa 40 km vor dem Ziel erreicht sie ca. 250 Höhenmeter. Wenn ich mich recht erinnere, hat Erik Zabel in diesem Jahr die Cipressa von vorne gefahren. Mein Gott, was müssen die Jungs alles in den Beinen haben. Ich quäle mich wieder mit Wadenkrämpfen, immer noch alleine, aber irgendwann ist auch das erledigt! Es gibt eine schöne Abfahrt wieder hinunter auf Meereshöhe und dazwischen war auch wieder eine Getränkeausgabestelle, die reichlich angezapft wurde.
Irgendwann kam dann das Schild „SanRemo noch 10 km“ und es begann schon eine sachte Vorfreude. Nach Durchfahren des Ortsschildes dürften es eigentlich nur noch 4 oder 5 km sein, aber dann zeigte der bekannte Richtungspfeil rechts ab nach oben, rauf zum Poggio. Zwei vor mir Fahrende fahren den geraden Weg durch, aber trotz aller Müdigkeit quäle ich mich auch noch auf den Poggio rauf. Zusammen mit einem weiteren kräftigen Italiener hangelten wir uns Meter für Meter hoch. Welch ein Unsinn diese Schikane noch einzubauen. Dann ging es in sausender Fahrt wieder hinunter in die Innenstadt von SanRemo. Auch hier, wie überall auf der Strecke, nicht komplett abgesperrt. Aber wenn die Verkehrsampel rot zeigt und die anwesenden Verkehrspolizisten uns herankommen sehen, werden wir sofort durchgewinkt und die Fahrzeuge, die grün haben, müssen einen Augenblick warten. Ein geiles Gefühl! Dann geht es mit einem letzten Schwung in die Blumenhalle hinein. Am Kontrollgerät ertönt ein Piepen, wie auch schon unterwegs an einer Zwischenkontrolle. Wir sind da!
Ich beglückwünsche meinen italienischen Mitstreiter, der mich auch. Ich schaue auf die Uhr, es müssen so knapp 11,5 Stunden gewesen sein. Plötzlich sehe ich auch Pia, sie kommt herbeigeeilt, gratuliert, Bussi links, Bussi rechts. Ich warne sie noch, ich bin total durchgesifft, aber das stört sie nicht. Sie freut sich, dass hier wieder einer von Velo Travel eingetroffen ist. Nach wenigen Minuten lasse ich mir den weg zum Hotel erklären und fahre dann mit dem Rad etwa 500 m bis zum Casino. Unser Hotel National liegt direkt daneben. Mein Fahrrad kommt in den Abstellraum. Das Gepäck ist schon ausgeladen und liegt im Foyer. Ich nehme es mit nach oben, Peter ist ja noch nicht da. Dann wird erst einmal ausgiebig geduscht. Oh wie ist das schön! Anschließend noch eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und zu Hause anrufen. Annegret und Jörg sind höchsterfreut, dass ich unversehrt durchgekommen bin. Während ich dann später noch telefoniere klopft es an der Tür, Peter steht auch draußen. Er ist zusammen mit Manfred durchgefahren (Route 66, Paris-Brest-Paris).
Später beim Abendessen im Hotel werden dann auch noch die Platzierungen bekannt gegeben. Die Velo Travel Gruppe hat wieder den 1. Platz als Gruppe gemacht. Dafür gab es einen Riesenpokal und ein Mountainbike, das wurde nach kurzer Beratung dann an Pia, der Gattin des Veranstalters, ausgegeben. Die Flasche Wein wird nicht ganz leer, die ich mir bestellt hatte. Dann geht es ins Bett!
Nach einem fast totenähnlichen Schlaf geht es dann um 7:00 Uhr wieder zum Frühstück. Anschließend Sachen verstauen, Fahrräder wieder in den Anhänger und um kurz nach 9:00 Uhr, nachdem der Ersatzbus gekommen war, geht es auf die Autobahn Richtung Genua. Unser roter Bus wartet noch auf einen Mechaniker. Wir erfahren später, es ist nur ein Steuerungsventil für die Dieseleinspritzung defekt. Hätte man vielleicht auch noch so reparieren können. Okay, dann über Genua, Mailand geht es wieder Richtung Schweiz. Wir nehmen diesmal, da keine Staus gemeldet wurden den SanGotthardtunnel und irgendwann habe ich den Eindruck, dass die halbe Schweiz untertunnelt sein muss.
Um 21:15 Uhr sind wir wieder in Karlsruhe am Hauptbahnhof. Kurzes Ausladen, eine herzliche Verabschiedung von den Kollegen und dann geht es wieder zum Hotelparkplatz, um das Fahrrad zu verladen. Noch ein kurzes Dankeschön an die Rezeption, dass ich den Wagen dort kostenlos parken durfte und dann geht es nach Hause.
Autobahn ist ziemlich frei, so dass bereits um 1:45 Diepholz erreicht wird.
Eine äußerst anstrengende Geschichte dieses Mailand-SanRemo, aber ein tolles Erlebnis.
Ernesto tedesco. Ciao ragazzi
|