Hi Folks,
es folgt ein Reisebericht für alle, die sich schon immer mal gefragt haben, ob es denn nicht langweilig ist, neun Stunden lang auf einem Rad zu sitzen und stumpfsinnig vor sich hin zu treten. Es ist nämlich ganz gegenteilig: In dieser Zeit kann man mehr erleben, als man manchen in neun Stunden erzählen kann.
Am Sonntag fuhr ich von Mailand nach Sanremo, Insidern bekannt als Milano-Sanremo, Beiname "La Prima Vera", das erste Weltcuprennen der Saison. OK, die Profis brachten es Ende März schon hinter sich, und dieses Jahr gewann der schöne Mario endlich einmal, noch dazu in dieser lustigen Zebrahose. So eine hätte ich mir fast noch in Mailand gekauft, hab mich dann aber doch für ein Eis entschlossen. Jedenfalls wurde am Sonntag die gleiche Strecke als Gran Fondo Internazionale di Ciclismo angeboten, also als Radmarathon für Amateure und Hobbyfahrer. Dabei gewann ich folgende Erkenntnisse:
1. Rechne nicht mit einem 29er-Schnitt, wenn Du die Chance hast, in der Gruppe der Amateure zu bleiben, die hinter einer Polizeieskorte durch die Poebene rollt. 2. Ignoriere die blinkende Pulsuhr, wenn besagte Gruppe über leichte Bodenwellen hinweg rollt. 3. Stell Deine Schaltung vor dem Rennen richtig ein, auch wenn Du im Vorfeld denkst, das große Blatt sowieso nicht zu brauchen. 4. Bleib am rechten Rand des Feldes, wenn dieses immer wieder die ganze Straße nutzt, aber manchmal dem zum Anhalten gezwungenen Gegenverkehr ausweichen muss. 5. Frag rechtzeitig vorher einen Profi, wie man vom rechten Rand wieder in die Mitte des Feldes kommt, wenn der Wind plötzlich von rechts vorne bläst (betteln hilft nicht). 6. Fahr im Feld relativ weit vorne, da weiter hinten der Ziehharmonikaeffekt und die Gefahr eines Massensturzes größer sind. 7. Pass um Himmels willen auf, dass Du nicht in die erste Reihe und damit voll in den Wind gerätst, denn ab der fünften Reihe kann das sehr schnell passieren. 8. Nimm nicht Deine Lieblingstrinkflasche mit, denn bei der Verpflegungsstelle wird sie Dir weggerissen und durch eine neue mit passender Aufschrift ersetzt. 9. Halte Dich an Deinen Ernährungsplan, auch wenn Dir die Bananen schon von den Ohren rausquillen. 10. Trink einen Becher von dem grünblauen Zeug bei der Verpflegungsstelle, wenn Du merkst, dass Du es versäumt hast, rechtzeitig Mineralien zu trinken. 11. Trenne Dich rechtzeitig von einer Gruppe, in der die Hälfte der Fahrer keine Führungsarbeit leisten, um dann nach einer Stunde die Gruppe zu zersprengen. 12. Verlasse Dich auf die Radsportbegeisterung der Italiener und überfahre alle roten Ampeln, auch wenn nicht jedesmal ein Polizist allen anderen Verkehr anhält. 13. Genieße es, wenn Du an der Cipressa die Hälfte der Leute wieder triffst, die vorher in der Ebene die Gruppe zersprengten und nun den Eindruck machen, als hätten sie noch nie einen Berg gesehen. 14. Zeig außer einem sauberen Fahrstil auch ein entspanntes, zufriedenes Lächeln, wenn Du am Poggio die andere Hälfte der Gruppenzersprenger wieder triffst. 15. Freu Dich, wenn Du es im Gegensatz zu den Profis schaffst, den Vorsprung auf dem Poggio in der Abfahrt auszubauen und über die letzten zwei Kilometer in der Stadt zu retten.
Und sonst? Ach ja, wir haben noch gewonnen. Und zwar die Gruppenwertung. Dafür gab es einen Riesenpokal, eine bronzefarbene Radlerstatue, Blumen, Nudeln, Reifen und ein ganzes Mountainbike (!?). Für mich sprang ein Reifen heraus (braucht jemand einen 20/622-er Vittoria Tecno Sport?) und der 35. Platz in der Altersklasse (von wahrscheinlich 36 Teilnehmern). Insgesamt fuhren schätzungsweise 1000 Radler mit; vielleicht finde ich die tatsächliche Zahl noch im Netz. Mario brauchte im März übrigens 6h50', am Sonntag war der Schnellste nach 8h01' im Ziel. Und ich sag noch, "hoffentlich rasen die nicht wie die Irren"...
Wie geht's weiter? Ich werde jetzt Poebenen und Küstenstraßen wieder eine Zeitlang meiden und freu mich schon auf echte Bergetappen im Juli. Und irgendwann krieg ich noch raus, wie ich meinem Umwerfer das Kettenrasseln abgewöhnen kann.
Ciao
Tobias
Tobias Weis, Songwriter since 1991 www.theplug.de
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