1000 KILOMETER TIBET - Mein Reisebericht

zum 40. Geburtstag

von Petra Schulz, Tibetteilnehmerin Okt. 98

Tibet 98 001

Nur 50 Minuten dauert der Flug von den grünen Tälern Nepals über die schneebedeckten Himalayagipfel bis zur Landung mitten in einer beigefarbenen Gebirgswüste. Ein Bus bringt uns auf einer asphaltierten Straße entlang des Yarlung Tsangpo (Brahmaputra) nach Lhasa. Hier, auf 3500 Meter Höhe werden wir die nächsten 3 Tage bleiben um uns an die dünne, sauerstoffarme Luft zu gewöhnen.

Lhasa hat bedeutende und beeindruckende Bauwerke. Ein Muß sie anzuschauen. Der Jokang, heiligster Tempel in der Altstadt. Der Potala, ehemaliger Regierungssitz und Winterpalast des Dalai Lama. Der Norbulingka, der Sommerpalast des Dalai Lama und eine Oase der Ruhe.Die Klöster Drepung und Sera steuern wir mit unseren Mauntain Bikes an. Dabei werden zum ersten Mal die Unterschiede im fahrerischen Können abgesteckt. Am 3.Tag dann die Bewährungsprobe. Die Räder werden in einen Bus verladen, und wir fahren zum 60km entfernten Kloster Ganden in 4400 Meter Höhe. Nach Besichtigung und Mittagessen werden die Fahrräder ausgeladen und es kann 8km auf staubigen Serpentinen hinab ins Tal gefahren werden. Es ist schwierig die Sicht ins Tal zu genießen und gleichzeitig auf den Fahrweg zu achten. Die Wege hier haben wenig Gemeinsamkeiten mit den von mir bisher gefahrenen Wald- und Wiesenwegen.

Am 4.Tag beginnt das Abenteuer im Fahrradsattel, das Erlebnis Tibet. Die ersten 60km bis zur Brücke über den Yarlung Tsangpo sind noch asphaltiert. Kurz danach ein Stück Sandweg, dann nur noch Schotterpiste. Wir befinden uns am Fuß des ersten Passes. Auf 3800m ü.d.M werden unsere Zelte auf einer abgeernteten Getreideterrasse aufgeschlagen. Es gibt zunächst Tee und Kekse zur Stärkung. Am nahen Bach können wir uns waschen. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Mein linkes Wadenbein hat einen leichten Sonnenbrand trotz LSF20. Was ziehe ich morgen an? Mit langen Radhosen und im Rucksack eine winddichte Jacke so fahre ich die.19km zum Karnba La hinauf. Bei jeder Trinkpause ein Blick zurück ins Yarlung Tsangpo Tal. Der Staub, den die vielen Lkws aufwirbeln macht mir zu schaffen. Ich fahre rechts, immer am Abhang entlang, und sehe dann alles wie durch einen dichten- Schleier. Oben auf dem Paß unzählige kleine und große Steinpyramiden und bunte im frischen Wind flatternde Gebetsfahnen. Alles von Reisenden zum Zeichen ihrer Verehrung Buddhas. Zur anderen Seite bietet sich ein wunderbarer Blick auf Teile des türkisblauen Yamdrok Sees umgeben von weichen braunen Bergen, die sich von dem strahlend blauen Himmel abheben. Nach der Abfahrt gibt es das Mittagspicknick direkt am See. Es ist fastwie im Sommer am Baggersee. Was jetzt fehlt ist ein Sonnenschirm. Trotzdem noch eine Schale von der heißen Suppe damit der Körper nicht durch die trockene Luft und die Anstrengung austrocknet. Unsere Zelte werden 50km weiter am See (4500m ü.d.M.) aufgeschlagen. Durch die viele Flüssigkeit im laufe des Tages treibt es mich in dieser Nacht dreimal aus dem Zelt. Jedesmal verharre ich überwältigt unter dem Sternenzelt bis es mich fröstelt. Nicht nur daß die Mondsichel liegt, der Himmel ist übervoll mit großen und kleinen Sternen. Es scheint Gedränge unter den Sternen zu herrschen, so wenig Platz ist zwischen ihnen.

Am nächsten Tag fahren wir bis Nagarze am See entlang. Dann biegen wir rechts ab. Die Straße steigt unmerklich, aber stetig an. Kurz nach dem Mittagessen erreichen wir den 5010 Meter hohen Karo La Paß. Der Gletscher des 7223m hohen Nozin Khang Sa reicht bis fast an den Weg heran, entsprechend eisig pfeift hier oben der Wind. Gleich geht es deshalb hinab ins nächste Tal vorbei an kleinen Dörfern. Ackerbau und Viehzucht beherrschen den Alltag der Menschen in dieser Abgeschiedenheit. Es bietet sich wieder ein abgeerntetes Feld als Nachtlager an. Während der Nacht bläst ein kräftiger Wind durchs Tal. Er reißt unser Essenzelt um. Vor dem Frühstück wird es schnell wieder aufgestellt, denn noch hat die Sonne unser Platz nicht erreicht und im Schatten ist es morgens kalt.Wir überqueren einen kleinen namenlosen Paß und fahren die abfallende Straße weiter über unzählige Buckel. Gegen Mittag kommt die auf einem Hügel gelegene Festung von Gyantse in Sicht. Ob es wohl daran liegt, daß unser tibetischer Reisebegleiter, der uns von den Chinesen zugeteilt wurde, Tibeter ist? Zum Essen suchen wir mit Tsi Wang immer tibetische Restaurants auf. Gestärkt gehen wir auf einer staubigen Straße, gesäumt von typisch tibetischen Häusern, zum Hauptkloster Gyantzes, zum Pelkor Code. Hier werden wir durch einen schummrigen Vorraum in eine Kapelle geführt. Die rauchschwarzen Wandmalereien haben Tod und Feuerbestattung zum Thema. Wieder draußen blicken die Augen des Kumbum Tschorten beschützend auf uns herab.

Es stürmt noch bis in die Nacht hinein. Der feine Staub dringt durch die Zelte. Wir wachen morgens gepudert auf. Ohne Wind und zunächst mit Asphaltstraße unter den Rädern geht es durch ein breites Tal hoch zum Tsuo La Paß (4500m ü.d.M.). Es folgt eine schwungvolle Abfahrt auf einer langgezogenen Schlangenlinie. Hinter Lhaze, einem gesichtslosen Ort mit geteerter Hauptstraße, biegen wir links ab. Die Straße wird zur holprigen Piste. Sie windet sich durch Berge, deren zerklüftete Zacken senkrecht aufragen. In dieser garstigen Landschaft findet unsere Begleitmannschaft tatsächlich einen Rastplatz für die Nacht.

Wie jeden Morgen nach einer Nacht im Zelt, werden wir mit einem freundlichen Good Morning und heißem Tee von Nima, unserem nepalesischen Koch, geweckt. Nach dem Frühstück arbeite ich mich die restlichen 13,5km Schotterstrecke zum höchsten Punkt unserer Reise, dem 5220 Meter hohen Jia Tsuo La hinauf. Er ist wie jeder andere Paß mit Steinpyramiden und Gebetsfahnen geschmückt. Es weht ein kalter, rahuer Wind. Durch den Wind und durch den von Bächen aufgeweichten und von Lkws zerfahrenen Fahrweg braucht die lange Abfahrt einige Antritte. Nach dem Mittagessen wird die Straße wellig gefurcht und staubig. Immer wieder mal tanzen Sandwirbel über den Weg. Es wird auch wieder angenehm warm. Wenige Kilometer vor New Tingri sehen wir die weiße Spitze des Mount Everest. New Tingri überrascht uns mit einer glatten geteerten Straße. Zu meinem Bedauern hört sie kurz vor unserem Abzweig in das Mount Everest Naturschutzgebiet auf. In vielen Serpentinen geht es einen üblen steinigen Schotterweg hinauf. Ich steige ab und schiebe die letzten 3 Tageskilometer. Hinter mir sehe ich andere auch gelegentlich absteigen. Anderntags sieht der Weg unwesentlich besser aus. Ich versuche mich die nächsten 6 Kilometer mit den steilen, engen, sandigen, felsigen Spitzkehren. Kopf und Magen stellen sich quer. Die restlichen 4 Kilometer zum Pang La Paß (5200 Meter) fahre ich im Bus mit. Mit dem Gesicht voll im Wind blicke ich ganz allein für mich auf das aufregendste Panorama der ganzen Tour. Mount Everest, Lhotse, Makalu und Cho Oyu stehen vor mir. Gemeinsam mit den anderen trete ich die Abfahrt an. So muß es sein wenn man durch einen Steinbruch fährt, allerdings ohne den Ausblick auf die schneebedeckten Himalayariesen. Während der Mittagspause nutzt die Mehrheit der Gruppe, also wir Frauen, die Mittagshitze zum Haarewaschen am nahen Bach. Da mir das zur Verfügung stehende Flußwasser zum Waschen zu kalt ist habe ich meine Körperpflege auf ein Minimum begrenzt. Das Schwarze unter meinen Fingernägeln läßt sich kaum noch entfernen. Dies, und meine ständig staubige Kleidung bewirken, das ich mich so fühle wie die Einheimischen aussehen.

Kein Paß behindert unsere nächste Etappe durch das fruchtbare Tal des Nyang Chu. Es herrscht ein reger LKW- und Busverkehr. Ich bin mal wieder über und über mit Staub bedeckt. Dazwischen kreuzen auch noch Schafe und Ziegen unseren Weg. In drei Tagen wird es sie wieder als leckeres Curry im Zelt zum Abendessen geben. Wir passieren unzählige Dörfer. Die Erwachsenen sind jetzt nach der Ernte auf den Dreschplätzen beschäftigt. Für die Kinder ist es ein. Spaß an die Straße zu rennen wenn sie uns kommen sehen. Es folgen Tashi delek, Hallo und Good bye Rufe und vereinzelt auch Steine. Die Beworfenen verfolgen die dann schreienden Kinder und nehmen ihnen auch schon mal eine Steinschleuder weg wenn sie sie fangen können. Vor dem ein oder anderen Dorf nehme auch ich Steine als Wurfgeschosse gegen die Hunde auf. Alle 10 bis 15km steht Tsi Wang mit dem Jeep. Dann können wir umringt von Kindern unsere Wasserflaschen füllen. Von weitem ist die Tankamauer des Klosters Tashilhungpo von Shigatse zu sehen. Ich holpere die unebene, endlose aber niemals langweilige Strecke mit Magen- und Darmgrimmen bis zum Hotel zu Ende, Mein Darm wird nur die nächsten zwei Nächte verstimmt sein, und so mache ich verhältnismäßig unbeschwert die Stadtbesichtigung am nächsten Tag mit.

Wie Lhasa wird auch das Stadtbild von Shigatse nach chinesischen Vorstellungen umgestaltet. Das Ergebnis ist augenscheinlich nicht der Umgebung angepaßt. Das Tashilhunpo Kloster wird ausgiebig besichtigt. Ich habe das Gefühl wir bekommen jede Buddhastatue zu sehen. Überall werden von den Tibetern, einschließlich unserem tibetischen Reisebegleiter, Geldscheine vor die Statuen gesteckt. Butterlampen werden entzündet oder mit der mitgebrachten Yakbutter am Brennen gehalten. Gebetstrommeln werden gedreht. Teilweise erfolgt die Verehrung mit der Bodenberührung des ganzen Körpers. Auch ich ertappe mich, wie ich verstohlen hie und da für eine gute Reise spende. Abends dann ein heißes Bad. Es wird das Letzte vor Kathmandu sein.

Wir reisen auf einer schnurgeraden, hügeligen, staubigen Straße weiter. Doch wir kommen nicht weit. Die chinesische Polizei. hält uns an. Die Papiere bitte. Die sind bei Tsi Wang im Jeep. Nach 20 Minuten warten kommt unser Begleitbus. Die Polizisten nehmen unseren Busfahrer als Unterpfand und wir dürfen weiter. Nach einen kleinen namenlosen Paß (4050 m ü.d.M.) fängt ein scharfer Wind an mir die Fahrt zu erschweren. Nicht genug, er wirbelt auch noch eine ganze Menge Staub auf. Ich rolle nur sehr langsam voran. Dazu spüre ich den Atem von Andrew, unserem Reiseleiter, im Nacken. Aber es geht nicht schneller. Zusammen erreichen wir den Zeltplatz für diese Nacht noch über eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit. Der weitere Weg besteht aus den gerundeten Steinen eines Flußbettes und den eckigen Steinen entlang der Bergrücken bis wir an unseren Lagerplatz für die nächsten zwei Nächte sind. Der  Platz liegt  in  einem breiten  Flußbett  inmitten wohlduftender, vertrocknet aussehender Büsche. In der Abenddämmerung bietet sich ein wundervolles Spiel vonLicht  und Schatten an den  umgebenden  weichen,  braunen Bergzügen. Nachts dann immer aufs Neue das Sternenmeer. Ein Paradies auf dem Dach der Welt. Im Zelt wurden nachts ganz unromantisch –10° Celsius gemessen.

Am anderen Tag besteht die Möglichkeit über das Kloster Rombuk zum 1.Basislager des Everest zu fahren. Der stets aufwärts führende Weg ist ein riesiges Geröllfeld. Dann der Lohn für die Mühen. Vor mir das Kloster, dahinter erhebt sich der höchste Berg der Welt. Erika geht es heute nicht gut. Höhenkrank? Pia, die Krankenschwester ist, kümmert sich um sie. Iris mag irgendwie heute nicht mehr. Der Jeep kommt mit den Lunchpaketen. Die Drei laden ihre Räder in den Jeep und fahren zurück zum Lager bzw. nach Old Tingri -vielleicht noch weiter, je nach Erikas Wohlbefinden. Die drei Herren wollen noch die letzten 8 km bis zum Basislager fahren. Ich habe genug von dem steinigen Weg, auf dem ich mit dem Rad mehr hochhüpfe als weiterrolle. Worin besteht der Unterschied wenn 1,6 Meter 8 Kilometer näher an 8848 Meter stehen? Dieser Unterschied kann nicht groß sein. Ich fahre gemütlich alleine zurück. Setze mich in die Stein-wüste. Schaue mir Yaks an. Treffe auf einen Yeti. Höre einen nahen reißenden Fluß tosen. In der Nacht ist der Platz an meiner Seite leer. Hoffentlich geht es Erika gut.

Der Bus bringt Iris und mich über den Pang La Paß nach Old Tingri. In einem Hotelhof steht der Jeep. Erikas Bronchien hatten einfach zuviel kalte Luft bekommen. Von der Damentoilette des Hotels hat frau Fernsicht zum Everest. Die Herren folgen derweil einem Reiter, der ihnen einen Querweg vom Lagerplatz nach Old Tingri zeigen soll. Ein stückweit hinter dem alten Handelsort sollen wir die Zelte aufschlagen. Es sind eine ganze Menge Steine beiseite zu räumen damit wir ungetrübt schlafen können. Dann warten wir und warten. Es wird nicht mehr lange dauern bis die Sonne untergeht. Dann drei Radler am Horizont. Der Anspannung weicht Erleichterung. Am Abend werden die Einzelheiten der Expeditionstour erzählt.

Die Straße hinter Old Tingri läßt sich gut fahren. Immer im Tal entlang, dazu noch wenig Verkehr der Staub aufwirbelt. Nach dem Mittagspicknick ein böiger Gegenwind. Der Paß auf den wir uns zubewegen ist nicht steil. Langgezogene Biegungen sorgen für eine leichte Steigung. Der Shisha Pangma präsentiert sich Achtung gebietend. Er bläst mir seinen eisigen Wind ins Gesicht. Die Getränkeversorgung aus dem Jeep verwöhnt uns deshalb mit heißem Milchtee - das tut gut. Irgendwann ist auch der Lalung La (5050 Meter) erreicht. Nach einem kurzen Fotostop Abfahrt ins 150m tiefer gelegene Tal zu unserer höchsten und letzten Übernachtung im Zelt.

Kurz nach 7 Uhr, weckt uns Nima ein letztes Mal mit einer Tasse heißem Tee. Nach 8 Kilometern und 120 Höhenmeter sind wir auf unserem letzten Paß dem Tong La (5020 Meter). Die gewaltigen Gipfel scheinen zum Greifen nah. Ein letztes Gruppenfoto. Im Hintergrund der Shisha Pangma, der einzige 8000er der voll und ganz in Tibet steht. Von nun an geht es fast nur noch bergab. Die Talfahrt wird von wenigen Zwischenanstiegen unterbrochen. Wir tauchen in das höchste Gebirge der Erde ein. Rechts und links schneebedeckte Bergriesen. Zum letzten Mal betrachte ich die braunen, kargen Bergzüge. Es setzt ein rauher Gegenwind mit solch einer Stärke ein, als wolle er mich wieder zurück auf die tibetische Hochebene pusten. Das Tal verengt sich zu einer Schlucht. Sträucher und Bäume an den steilen Hängen verdrängen mit ihrem Grün die Beigetöne der Ebene.

Tibet ADE oder AUF WIEDERSEHEN?

Der Grenzort Zangmu (2300 Meter) hat eine schöne Hanglage, ist aber sehr ungepflegt. Das Hotelzimmer dort sieht gut aus, hat aber nur kaltes fließendes Wasser. Der Pfad fällt weiter ab. Die Wasserfälle neben und über die Straße werden zahlreicher. Die Vegetation wird subtropisch. Die Temperatur sommerlich warm und feucht. Nach 40 Kilometern nur noch Asphaltstraße. Noch ein kleiner und ein größerer Anstieg, noch eine kleine Abfahrt und wir sind mit Einbruch der Dunkelheit wieder in Kathmandu.

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